Stell dir vor, du brauchst eine Zahnfüllung. Vielleicht hast du ein kleines Loch entdeckt oder dein Zahnarzt hat beim Kontrolltermin Alarm geschlagen. Normalerweise heisst das: Schaden beheben, bohren, Loch füllen, weiter geht’s. Aber was wäre, wenn deine neue Füllung nicht nur Füllmaterial ist, sondern deinen Zahn auch gleich aktiv unterstütz und stärkt?
Genau das leisten bioaktive Füllmaterialien – und auch wenn es beinahe futuristisch klingt: Dahinter steckt innovative Zahnmedizin, die bereits spannende Erfolge in diesem Bereich erzielt hat. Sind bioaktive Füllstoffe also der nächste Schritt in der modernen Kariesprophylaxe?
Füllungen 2.0 – Warum Füllungen in Zukunft aktiv mitarbeiten
Zahnfüllungen gehören zum zahnärztlichen Alltag. Ob Komposit oder Cerec: Diese Materialien leisten seit Jahrzehnten gute Dienste, wenn es darum geht, einen Zahn nach einer Karies stabil und funktional wiederherzustellen.
Sie schliessen das entstandene Loch, passen sich farblich gut an und halten im besten Fall Jahrzehnte. Was sie bisher allerdings nicht konnten: dem Zahn aktiv etwas Gutes tun.
Und wie funktionieren bioaktive Füllungen genau?
Bioaktive Füllstoffe sind moderne Hochleistungsmaterialien, die mehr können, als ein Loch im Zahn zu verschliessen.
Beispiel:
Du trinkst deinen morgendlichen Smoothie, der wegen der Früchte zwar gesund, aber auch ziemlich säurehaltig ist – oder gönnst dir einen Schluck Cola, ein Glas Wein oder einfach einen Snack zwischendurch.
Genau in solchen Momenten kann die Mundflora aus dem Gleichgewicht geraten, und der Zahnschmelz kommt ganz schön ins Schwitzen. Bioaktive Materialien reagieren auf die veränderte Umgebung und setzten Mineralien frei – genauer gesagt: Ionen wie Calcium, Phosphat oder Fluorid.
Diese kleinen Teilchen helfen dabei, den Zahnschmelz zu remineralisieren – also wieder aufzubauen und zu stärken. Bei optimaler Dentalhygiene und Prophylaxe können sie sogar beginnende Kariesprozesse verlangsamen oder sogar stoppen.
Was ist eigentlich drin in so einer bioaktiven Füllung?
Jetzt wird’s ein bisschen nerdy – aber auch spannend!
Calcium-Silikat – Das ist sozusagen der Hauptdarsteller. Sobald das Material mit Speichel in Kontakt kommt, werden Calcium-Ionen freigesetzt. Diese helfen dabei, angegriffene Zahnsubstanz zu stabilisieren – vor allem in Kombination mit Phosphat.
Phosphat-Verbindungen – Gemeinsam mit Calcium können sie die Oberfläche des Zahns remineralisieren. Dabei entsteht allerdings kein neuer Zahnschmelz im ursprünglichen Sinn – denn der kann vom Körper nicht nachgebildet werden.
Aber: An geschwächten Stellen kann sich eine kristalline Schicht bilden, die dem natürlichen Zahnschmelz sehr ähnlich ist. Eine Art Schutzmantel, der den Zahn widerstandsfähiger macht.
Fluorid – Es wird freigesetzt, wenn es gebraucht wird und unterstützt nicht nur die Remineralisierung, sondern macht den Zahnschmelz auch robuster gegenüber Säureangriffen.
Hydroxylapatit – Das ist der Stoff, aus dem Zahnschmelz besteht. Wenn er als Bestandteil in Füllmaterialien enthalten ist, kann er sich gut in die Zahnstruktur integrieren – besonders dort, wo bereits kleinere Defekte bestehen. Auch hier gilt: Er ersetzt keinen natürlichen Zahnschmelz, aber er hilft, ihn zu schützen.
Kann so eine bioaktive Füllung also Karies wirklich stoppen?
Ja. Und nein.
Klingt nach einem Widerspruch – ist es aber nicht. Bioaktive Füllungen sind keine Zauberer, die Karies in Luft auflösen. Aber sie schaffen Bedingungen, unter denen sich der Zahn im Frühstadium stabilisieren kann.
Wenn zum Beispiel an einer schwer zugänglichen Stelle erste Entkalkungen entstehen (der Beginn von Karies), dann können bioaktive Füllungen durch die Abgabe von Ionen helfen, diesen Prozess zu stoppen – bevor ein echtes Loch entsteht oder vielleicht sogar eine Endodontologie bzw. Wurzelkanalbehandlung nötig wird.
WICHTIG:
Bioaktivität ersetzt nicht das Zähneputzen. Oder deine halbjährlichen Kontrolltermine.
Wann kommen bioaktive Füllungen heute zum Einsatz?
Die Einsatzgebiete von bioaktiven Füllstoffen wachsen stetig. Hier einige typische Situationen, in denen sie bereits erfolgreich angewendet werden:
Kleinere bis mittelgrosse Kariesdefekte
Wenn ein Zahn nur oberflächlich angegriffen ist – etwa bei beginnender Karies – können bioaktive Materialien helfen, den Zahn aktiv zu unterstützen. Durch die Freisetzung von Mineralien wird die geschwächte Zahnsubstanz stabilisiert, bevor sich der Schaden ausweitet.
Füllungen im Zahnhalsbereich
Besonders sensibel sind die Bereiche nahe am Zahnfleisch, also dort, wo der Zahnschmelz sehr dünn oder gar nicht mehr vorhanden ist. Hier kommt es häufiger zu empfindlichen Reaktionen – vor allem bei kalten Getränken oder süssen Snacks. Bioaktive Füllstoffe schaffen dort mehr Dichte und fördern lokale Remineralisation.
Kinderzahnheilkunde
Gerade in der Kinderzahnmedizin möchte man, wenn nötig nicht minimalinvasiv behandeln. Und manchmal reicht es den Zahn mit bioaktivem Material zu versorgen, um ein Fortschreiten der Karies zu verhindern. So kann oft auf umfangreicheres Bohren verzichtet werden – was nicht nur den Zahn, sondern auch die Nerven kleiner (und grosser) Patient:innen schont.
Patient:innen mit erhöhtem Kariesrisiko
Es gibt viele Gründe, warum jemand ein höheres Risiko für neue Karies hat – zum Beispiel durch Mundtrockenheit (Xerostomie), bestimmte Medikamente, eine chronische Erkrankung oder auch einfach genetische Veranlagung. In solchen Fällen kann eine bioaktive Füllung zusätzlichen Schutz bieten, indem sie Mineralien abgibt und die Bedingungen im Mund gezielt beeinflusst.
Gibt es auch Nachteile bei bioaktiven Zahnfüllungen?
Bioaktive Materialien sind eine echte Innovation in der Zahnmedizin ähnlich wie die KI. Aber – wie bei jeder neuen Technologie – gibt’s auch hier ein paar Punkte, die man realistisch einordnen sollte.
Mechanische Belastbarkeit: Einige bioaktive Materialien sind (noch) nicht ganz so stabil wie klassische Komposite. Für grosse Füllungen in stark belasteten Bereichen – z. B. die Kauflächen der Backenzähne – wird daher manchmal auf kombinierte Lösungen gesetzt.
Ästhetik: Nicht jedes bioaktive Material ist ein Beauty-Star. Manche verfärben sich mit der Zeit oder passen farblich nicht ganz so perfekt wie hochwertiges Cerec.
Kosten: Bioaktive Füllstoffe sind innovativ – und das schlägt sich (noch) im Preis nieder. Sie gehören nicht automatisch zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Viele Zahnärzte bieten sie aber als Zusatzleistung an.
Fazit
Bioaktive Füllmaterialien eröffnen neue Möglichkeiten in der modernen Zahnmedizin. Anders als klassische Materialien interagieren sie mit ihrer Umgebung – sie geben gezielt Mineralien ab, fördern die Remineralisation des Zahnschmelzes und beeinflussen das orale Milieu. Damit können sie beginnende Kariesprozesse unter bestimmten Voraussetzungen verlangsamen oder stoppen.
Das bedeutet nicht, dass sie klassische Füllungen vollständig ersetzen – denn in puncto Belastbarkeit, Ästhetik und Langzeiterfahrung gibt es weiterhin Unterschiede. Doch gerade bei kleineren Defekten oder erhöhtem Kariesrisiko zeigen bioaktive Werkstoffe viel Potenzial.